Er war, ist und wird das ewige Wunderkind bleiben.
Am Montag feiert Wolfgang Joop seinen 80. Geburtstag. Er ist neben Jil Sander (80) und Karl Lagerfeld (1933–2019) der einzige deutsche Designer, der weltweit Erfolge feierte.
Mit BILD spricht Wolfgang Joop über die Höhen und Tiefen seines Lebens und die Zeit danach.
BILD: Sie feiern am Montag Ihren 80. Geburtstag. Bringt Ihnen diese Zahl mehr Schrecken oder mehr Freude?
Wolfgang Joop: „Ich bin, ehrlich gesagt, auch ein wenig überrascht und überrumpelt von dieser Zahl. Ich habe mich ja bislang erfolgreich dagegen gewehrt. Die Zahl stand plötzlich im Raum – und ich war nicht vorbereitet. Vielleicht auch, weil ich eigentlich nicht bereit bin, mich deswegen zu ändern. Wenn ich im Fernsehen Menschen meines Alters sehe oder beispielsweise Politiker mit 50 oder 60, kann ich immer nur sagen: Sie wirken so hilflos und viel älter als ich. Aber vielleicht liegt das an den Outfits, die sie alle tragen müssen, das brav gebügelte Hemdchen und darüber der preiswerte Anzug. Mode ist ja immer auch Message. Meine Message war es nie, plötzlich sagen zu müssen, dass ich 80 bin.“
Liegt das vielleicht daran, dass es für Menschen wie Sie kaum oder keine lebenden Vorbilder mehr gibt?
Joop: „Jedenfalls nicht in Germany. Mir fällt für mich kein Vorbild mehr ein. Die, die es gab, sind alle tot. Umgekehrt habe ich allerdings den Eindruck, dass ich für viele junge Menschen offenbar ein Vorbild bin, was ich ja nie sein wollte. Die Generation, die mich euphorisch mit ,Hallo Wolle!’ begrüßte, kam erst mit Heidi Klum und meinem Erfolg im Fernsehen in mein Leben.“
Wurde Ihr Leben mit den zunehmenden Erfolgen und Erfahrungen einfacher oder schwieriger?
Joop: „Das dicke Ende ist noch nicht gekommen. Mein Ende scheint mir demnach sehr schlank zu sein. (lacht) Und das Alter kann mich – wenn überhaupt – nur bestrafen, wenn es mir die Arbeit wegnehmen würde. Ich arbeite mehr denn je. Stelle mir aber öfter die Frage, ob ich noch relevant bin.“
Wolfgang Joop: „Ich habe die sexuelle Revolution überlebt, die Supermodels und meine 20 Jahre in New York“
Und?
Joop: „Ich glaube, ja. Ich könnte wenig über mein Leben berichten, das ich bereue. Früher habe ich viel mit Pelzen gearbeitet, heute engagiere ich mich sehr stark für den Tierschutz. Das ist meine Art, Reue zu zeigen. Ich bin dankbar für mein Leben und demütig. Ich habe die Zeit des großen Mangels erlebt, des Kalten Krieges, ich habe die sexuelle Revolution überlebt, die Supermodels und meine 20 Jahre in New York. Was wie ein roter Faden geblieben ist: Nach einer Dekade war meistens Schluss, und ich war bereit für etwas Neues.“
Was erwarten Sie für Ihre nächste Dekade?
Joop: „Am besten wäre es vermutlich, wenn ich mein kommendes Jahrzehnt wie eine lange Reise plane, von der ich einfach nicht zurückkomme. (lacht) Ich habe mir heute Nacht einen Gedanken dazu aufgeschrieben: Wenn ich darüber nachdenke, was mich erwartet, macht es mich betroffen, dass das Nichts weder dunkel noch hell ist – es ist das Nichts.“
„Der Tod ist für mich der Eintritt ins Nichts“
Passiert das oft, dass Ihnen nachts solche Gedanken kommen?
Joop: „Es ist jedenfalls nicht so, dass ich hier schlaflos durch die Nacht wandle oder mir ein Kleid ohne Kopf entgegenkommt, das ich dann unbedingt zeichnen muss. Aber ich schlafe immer mit Papier in Reichweite. Und heute Nacht habe ich, warum auch immer, nicht an einen neuen Entwurf gedacht, sondern an das Nichts.“
Das Nichts ist in diesem Fall der Tod?
Joop: „Ja. Soweit ich mir das jedenfalls vorstellen kann. Der Tod ist für mich der Eintritt ins Nichts. Und nicht, wie wir immer denken, der Eintritt in eine paradiesische Parallelwelt. Für einige ist sicher auch die Hölle noch eine Option. Aber für mich ist der Tod weder hell noch dunkel – er ist einfach das Nichts. Aber mit dem Alter zu hadern, hilft einem ja auch nicht. Man kann das Alter eventuell ignorieren, was ich lange getan habe. Oder – und das tue ich gerade sehr viel bewusster: Ich freue mich darüber, was ich habe, meine lebendige Kreativität und meine Enkelkinder zum Beispiel.“
Ist Ihr Geburtstag der Auslöser dieser Gedanken?
Joop: „Wahrscheinlich. Ich denke manchmal, dass ich im Leben meine Hausaufgaben nicht immer richtig gut gemacht habe. Aber – und das ist vielleicht das Gute daran: Ich glaube auch, dass ich mit 80 endlich bereit bin, erwachsen zu werden. Das Erwachsenwerden habe ich lange verdrängt.“
Woran merken Sie, dass Sie jetzt selbst erwachsen werden?
Joop: „Ich kenne niedere Gefühle wie Eifersucht beispielsweise gar nicht mehr. Ich bin heute mehr als bereit zu teilen. Und ich kann mir heute eher vergeben, dass nicht alles, was ich getan habe, immer nur chic war.“
Macht es Sie wütend oder traurig, dass die Zeit begrenzt ist?
Joop: „Weder noch. Ich verbiete mir, ständig darüber nachzudenken, wie mein Abgang sein könnte. Meine Auftritte kenne ich ja nun schon ganz gut. Aber so einen einmaligen Abtritt möchte ich mir nicht so recht vorstellen. Das ist letztlich wie in der Mode. Die Front Row ist dir immer nur eine Show lang treu.“
Sind Sie gläubig?
Joop: „Ja, natürlich, denn ich weiß ja nichts. Deshalb kann ich nur glauben. Hinter allem, das wir kennen, muss es eine Regie geben, ein Design und bald vielleicht eine KI. Ich glaube an diese Gewalt, die uns alle lenkt. Denn es ist leichter zu glauben oder wenigstens zu fragen, als es nicht zu tun.“
Gibt es etwas, das Sie sich mit 80 nicht mehr gestatten?
Joop: „Ich rauche schon seit Jahren nicht mehr. Ich habe meine letzte Zigarette ruckartig fallen gelassen. Rauchen ist wirklich unmodern geworden. Genauso, wie Fleisch zu essen.“
Ist eine Rückkehr zu „Germany’s Next Topmodel“ denkbar?
Joop: „Für die ganz großen Shows bin ich mittlerweile zu sensibel geworden. Ich kann den Wirbel um mich herum nicht mehr gut vertragen. Daran merkt man übrigens auch, dass man älter wird.“
Was treibt Sie noch an? Mehr Erfolg könnten Sie kaum haben.
Joop: „Das Tragische an meinem Beruf ist, dass nach dem großen Applaus immer auch die große Stille droht. Der Beruf ist wie eine Rausch – man will immer mehr.“
Hatten Sie je die Sorge, eines Tages aus der Mode zu kommen?
Joop: „Das hätte jederzeit passieren können. Denn zeitlose Klassiker sind allenfalls Giorgio Armani oder Ralph Lauren.“
Hat das Leben Ihnen eine Lektion mit auf dem Weg gegeben, mit der Sie nicht gerechnet hätten?
Joop: „Ja. Dass diejenigen, die am meisten Liebe verdienen, nur selten von ihr belohnt werden. Das habe ich früher so nicht gewusst. Man darf auch nicht zu sehr die Mode lieben, denn dann verachtet sie Dich, weil Du ein Fashion Victim bist. Jedes High produziert leider immer auch ein Down.“
Was ist schwieriger auszuhalten?
Joop: „Immer nur die Schwankungen. Ich bin zum Glück zu sehr Preuße und Junge vom Bauernhof gewesen, um wirklich durchzudrehen. Vieles habe ich aus der Verunsicherung erreicht und auch aus dem Schmerz.“
An welchen Schmerz denken Sie?
Joop: „Als ich 36 war und meine Frau sich von mir trennte, um mit einem anderen Mann zu leben, war das für uns alle sehr schmerzhaft. Ich war gewohnt, meinen Töchtern einen Gute-Nacht-Kuss zu geben. Und plötzlich waren sie nicht mehr da. Mein Leben und das Leben meiner Töchter veränderte sich über Nacht. Plötzlich wurde das Leben zu einem Abenteuer, auf das ich mich einlassen musste. Ich habe bis spätabends gezeichnet und habe mich danach ins Leben gestürzt.“
Würden Sie Ihre wilden Jahre gerne heute noch einmal erleben können?
Joop: „Nein, bloß nicht. Die Zeit ist vorbei. Wenn ich heute das Wort ,Berghain‘ höre, denke ich: Was ist das für ein altmodischer, trauriger Kram? Ich glaube, ich habe mich früher mehr amüsiert. Ich erkenne heute immer mehr, dass alles okay ist, wie es ist. Dass meine Familie gesund und in Sicherheit ist. Und dass alle glücklich sind. Diese Fragen beschäftigen mich viel stärker. Ich glaube sogar, sie lenken mich ab.“
Wie feiern Sie Ihren Geburtstag?
Joop: „Ich werde nur mit meiner Familie feiern. Und irgendwann kommen vielleicht die Wahlverwandten dazu.“
Haben Sie Wünsche?
Joop: „Dass man mir nichts schenkt. Wenn man mir Blumen schenkt, fängt es schon damit an, dass ich erst mal eine passende Vase finden muss. Das ist jedes Mal Stress.“
Kann man Sie denn wirklich mit nichts glücklich machen?
Joop: „Ich wünsche mir, wenn überhaupt etwas, das ich nicht bekommen werde – dass sich alle gut verstehen. Mein Ur-Wunsch war immer, dass wir unser Leben als Patchwork-Familie irgendwie gut hinbekommen. Das gelingt einzeln miteinander, aber selten mit allen zusammen. Mit 80 habe ich ein Recht auf Harmonie.“#
Leben und Karriere von Wolfgang Joop
Wolfgang Joop wird am 18. November 1944 auf einem Bauernhof in Potsdam geboren. Als die Eltern nach Braunschweig umziehen, sehnt er sich zu DDR-Zeiten in die Heimat und zu seiner geliebten Tante Ulla zurück. Der mittlerweile renovierte Familienstammsitz – seit 2017 lebt Joop wieder dort – in Potsdam-Bornstedt ist der lebenslange „Sehnsuchtsort“ des Künstlers, der in Hamburg, Monte Carlo und viele Jahre in New York gelebt hat.
1982 stellt Joop seine erste Prêt-à-porter Damen-Kollektion vor. Mit seinem ersten Parfum „Joop!“ macht er 1987 seinen Namen zur Marke. 1998 verkauft er sein Unternehmen für rund 150 Mio. D-Mark. Er arbeitet weiter als Designer, gründete u. a. die Marken Wunderkind und Looks by Wolfgang Joop.