Verkopft seien seine Spieler in der ersten Halbzeit gewesen, sagte Sahin. Und tatsächlich: So kompliziert die Dortmunder kombinierten, so einfach tat es die Eintracht. Ein simpler, und doch schöner Angriff über den rechten Flügel, eine flache Flanke, ein harter Schuss von Hugo Ekitiké durch die Beine Gregor Kobels – 1:0 (18. Minute). Immer wieder spielten sich die Frankfurter scharf durch die Dortmunder Linien, die erschreckend weit auseinander standen, sowohl in der Breite als auch in der Tiefe des Feldes. Eine Einladung für die Eintracht-Spielmacher Hugo Larsson und Mario Götze.
„Ein klarer Elfmeter“
Der BVB hingegen ließ den Ball träge durch die eigenen Reihen laufen. Zwei Drittel der Zeit war er am Ball, aber Toppmöller nahm es gelassen: „Wir hatten trotz viel Ballbesitz von Dortmund eine gute Kontrolle.“ In der zweiten Halbzeit hatten ihn die Dortmunder noch häufiger – „aber vom Gefühl her wurde es nie so richtig gefährlich.“ Sein Gefühl trog den Trainer des Tabellendritten nicht, Dortmund kam zwar zu ein paar Halbchancen durch Guirassy, aber dem Tor nie so nahe, dass Eintracht-Torhüter Kevin Trapp sich strecken musste. Kurz vor dem Abpfiff traf der eingewechselte Oscar Hojlund zum 2:0 (90.+2).
Während die eingespielte Eintracht weiter flowte, gemeinsam kombinierte, gemeinsam verteidigte, waren die BVB-Spieler auf ihrer eigenen Mission. Guirassy ließ sich häufiger im Strafraum fallen, als dass er schoss. Linksaußen Jamie Gittens dribbelte sich in der Frankfurter Abwehr fest.
Und Sportdirektor Sebastian Kehl schrie den Vierten Offiziellen so lange an, bis er Gelb sah. „Ein klarer Elfmeter“ sei es gewesen, als Frankfurts Verteidiger Nnamdi Collins Gittens beim Stand von 1:0 zu Fall brachte (77.), sagte Sahin später. Collins rempelte Gittens in hohem Tempo an und stellte ihm sein Bein in den Weg, Strafstoß gab es seltsamerweise nicht.
Vorwurfsvolle Blicke
Und trotzdem: Die Dortmunder Mannschaft spielte in der Kälte Frankfurts merkwürdig verhalten. So, als müsste sie sich in einem langen Testspielsommer noch kennenlernen. Wohin läuft der neue Rechtsverteidiger nochmal am liebsten, und auf welchen Fuß soll ich den Stürmer anspielen? Häufig endeten Pässe in den Frankfurter Füßen oder im Seitenaus. Einmal lief Gittens Guirassy im Strafraum über den Haufen. Guirassy forderte Elfmeter.
Als die Frankfurter den BVB das erste Mal überlaufen hatten, schauten sich die Borussen vorwurfsvoll an. Linksverteidiger Ramy Bensebaini, dessen Seite offenstand, zuckte mit den Schultern und hob die Arme. Wo seid ihr denn? schien er zu fragen. Mittelfeldspieler Felix Nmecha und Kapitän Emre Can wirbelten mit den Händen, als wollten sie ihre Kollegen in den Schlussminuten einer engen Partie motivieren. Dabei waren erst 18 Minuten gespielt.
-Teamspirit entwickle sich eben durch gemeinsame Erfolgserlebnisse, sagte Sahin später. Es war die Replik auf einen erstaunlichen Satz Toppmöllers: „Noch nie, nicht als Spieler und auch nicht als Trainer, habe ich einen solchen Spirit in der Mannschaft erlebt. Das trägt uns durch die Saison.“ Viele hatten vermutet, dass den Frankfurtern mit ihrem wechselwilligen Top-Stürmer Marmoush, der noch am Wochenende bei Manchester City unterschreiben soll, auch die Ideen verlassen. Und vielleicht auch der besondere Geist.
Aber 11-1 sind immer noch 10, das reichte, um die Dortmunder Einzelkämpfer zu besiegen. Manchmal, als in wenigen Sekunden die Dortmunder Linien überspielt waren und die Frankfurter Angreifer auf die Verteidiger zurannten – da hätte Marmoush sicher etwas mit der Situation anzufangen gewusst. Aber auch die verbliebene Elf war gut genug.
Dieses Selbstverständnis jedenfalls versprühte Toppmöller den ganzen Abend. Erst, als er seine Schultern ein Stück nach hinten zog, bevor er Sahin auf dem Feld vor den Kameras begrüßte. Dann, als er mit Marmoush nach dem Spiel vor der Kurve jubelte. Und auch, als er gegen Mitternacht darüber sprach, wie es mit seiner Mannschaft nun weitergeht.
Sahin hingegen kämpfte um seinen Job: „Bis zum letzten Tag, an dem ich Trainer von Borussia Dortmund bin, werde ich vorangehen.“ Der BVB steht elf Punkte hinter Frankfurt, genauso nah ist der Relegationsplatz. In Bologna, wo Dortmund am Dienstag Champions League spielt, soll Sahin weiter Trainer sein (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Champions League und bei Prime Video).
Er wisse, dass es im Fußball niemals Zeit gebe. Aber genau die brauche es jetzt, erklärte Sahin und gestand: „An dem, was Dino über seine Mannschaft sagt, sind wir noch nicht.“ Aber das, sagte der Dortmunder Trainer an einem denkwürdigen Abend – es sei genau das Ziel.